Textprobe
"Nachdem zu zeigen war, wie die Quadratur des Kreises
zumindest zeitweilig gelingen konnte, nämlich eine schier
grenzenlose Geldvermehrung zu bewerkstelligen (neuer-
dings besonders auf den Finanzmärkten), ohne dass darun-
ter der Glaube an die Wertigkeit des Geldes leiden muss
(durch flankierende Zinspolitik, Abbau des Sozialstaates,
Lohndruck), wird nun die am Anfang des Kapitels geäußer-
te These wieder aufgegriffen. Es ist nun zu zeigen, dass nur
das Geld, und zwar das zusehends körperlose und umso
mehr geglaubte Geld zum Motor werden konnte für das un-
vergleichliche Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei-
hundert Jahre.
Quantität contra Qualität der metaphysische Imperativ
"Ich habe Gallseife gekauft. 'Form follows function' wird
der Behältnis-Designer gesummt haben bei der Arbeit: eine
handliche Plastiktube mit einem Schwämmchen oben dran,
"Pre Wash" heißt das Ding und hat 5,59 DM gekostet.
"Original Dr. Beckmann", dann ist ja gut, der ist ja bekannt
für seine Verdienste auf dem Pre Wash-Sektor, der gute alte
Dr. Beckmann, jaja, eine Kapazität. Ich schleudere das Geld
raus, so gut es geht, spare nichts und vergleiche überhaupt
nie Preise.
Wenn das Geld weg ist, dann ist das Geld weg, so unsenti-
mental sollte man das sehen. Sobald mann ein bischen Geld
verdient und ein bißchen mehr meint hier ein bißchen! -,
erhöhen sie deinen Dispokredit ins Unendliche, und du Depp
schöpfst das natürlich nach Möglichkeit aus. So wird man
an den Kapitalismus gewöhnt, bald zerren sie dich mit nie
endenden Ratenzahlungen in den Abgrund, und dann kommt
es dicke: Schuldnerberatung und Konzepte zur Entschuldung,
Entschuldigen Sie mal!, und schwupsdiwups ist das auch
Konzept für dein Leben, dann läufst du dem Geld hinterher
und sie dir, und wenn du ankommst, bist du tot"
(Aus: Benjamin von Stuckrad-Barre, "Soloalbum")
Jeder, der jemals seinen Dispo-Kredit ausgeschöpft oder
einen Kredit aufgenommen hat, weiß um die bittersüße Zwie-
spältigkeit des Geld-Abenteuers. Dem Glück verheißenden
Freiheitsversprechen des Sofortkredits folgen unerbittliche
Tributverpflichtungen. Die kurzzeitige Euphorie über das er-
sehnte Auto, die neuen Wohnzimmermöbel, die Urlaubsreise
auf den Canarischen Inseln oder gar der Traum vom Eigen-
heim wandelt sich bald in die sehr viel länger dauernde De-
pression von Zins- und Tilgungszahlungen. Man/frau muß
höllisch aufpassen, dass es einem am Ende nicht wie Stuck-
rad-Barre oder Arthur Millers Handelsreisendem Willy
Lomann geht. Der steht am Ende zwar vor "seinem" Haus,
doch das Leben darin ist längst dem Beziehungstod gewichen
- die Familie zerbrochen unter der Rastlosigkeit des Immer-
auf-Achse-Geld-Verdienen-Müssens, der Hausherr selbst
zermürbt von der riskanten Freiheit, der er über Jahrzehnte
hinweg gehuldigt hat.
Zugleich ist die soziale Krankenstation des Kredits die Ge-
burtsstätte für das unternehmerische Wachstum, wie für das
wirtschaftliche Wachstum in der Marktwirtschaft ganz allge-
mein. Unternehmen nehmen Kredite auf, um Investitionen zu
tätigen und Investitionen stehen am Anfang jeder Produktion.
Zu der Frage, woher die Kredite eigentlich kommen, haben
wir feststellen müssen, dass das Geld, welches die Bank
ihren Kunden zur Verfügung stellt, nur zum geringsten Teil
aus Ersparnissen stammt. Es ist das Kredit- und Zinsgeschäft
selbst, in dem der Akt der Geldschöpfung liegt. Diese zu-
nächst um sich selbst kreisende, beinahe wundersame Geld-
vermehrung drückt schon das Wort "Kredit" an sich aus
- wörtlich zu übersetzen mit: er, sie, es glaubt. Demnach be-
ruht die systematische Ausgabe von Kreditgeldern durch
die Bank vor allem auf dem Glauben daran, nicht nur das
verliehene Geld zurückzubekommen, sondern aufgrund des
vereinbarten Zinses gleich mehr als das. Eigentlich sollte
die Frage lauten: Was macht die Bank da so sicher?
Bekanntlich gibt es in der Moderne kaum privatwirtschaft-
liche Institutionen, die über einen vergleichbaren Status an
ökonomischer Standfestigkeit, Machtzusammenballung und
Einflußstärke verfügen wie die Banken. Ihre vielfältigen
Beteiligungen an Unternehmen aus der Industrie oder dem
Dienstleistungsgewerbe sind Legion und es muss nicht ge-
sondert auf die enge Überkreuzbeteiligung etwa der Deut-
schen Bank mit dem Münchener Versicherungskonzern
Allianz verwiesen werden, um diese Gesetzmäßigkeit zu
illustrieren. Umgekehrt ist die Situation des Kreditnehmers,
wie nicht nur die Erfahrungen des jungen Romanautors
zeigen, von einem hohen Grad an Unsicherheit und Labili-
tät gekennzeichnet. Der Grund für dieses asymmetrische Ver-
hältnis liegt auf der Hand: Kreditfinanzierte Investitionen
werden in der Erwartung vorgenommen, dass die Investition
sich rentiert, das heißt, dass durch sie künftig ein höherer
Gewinn erwirtschaftet werden kann, der sowohl die Rück-
zahlung des Kredits und den Zins garantiert und zusätzlich
noch die eigene Einkommenssituation verbessert. Das Pro-
blem an der Sache ist, Unternehmer wie Privatpersonen
können gar nicht wissen, ob die Vorhersagen sich erfüllen,
ob die Zukunft sich den in sie gestecken Hoffnungen ent-
sprechend entwickelt. Während damit das Risiko beim
Kreditnehmer liegt, hat die Bank die Sicherheit im wahrsten
Sinne des Wortes für sich gepachtet: Nicht nur dass für den
Kredit Zinsen und Laufzeiten fest vereinbart sind und nur
gegen "Aufpreis" variiert werden können, müssen vor Ab-
schluß eines Kredites vom Bankkunden Sicherheiten ge-
boten werden, als da sind Hypotheken auf Immobilieneigen-
tum bis hin zur Lohnpfändung bei Verzug im Schuldendienst.
Kredite eröffnen also Möglichkeiten, die es ohne sie nicht
geben würde. Andererseits aber wird ein Schuh draus: Den
garantierten Verpflichtungen zur Rückzahlung von Krediten
stehen risikobehaftete Erwartungen zur künftigen Entwick-
lung von Gehältern und Unternehmensgewinnen gegenüber.
Diese systematische Asymmetrie von Sicherheit und Risiko
zwischen den Banken und ihren Kunden ist umso erstaun-
licher, als es ja eigentlich die Banken sind, die das Deckungs-
problem des Geldes haben. Über das geldschöpfende Kredit-
geschäft aber wird das Problem auf die Seite der Konsumen-
ten und Unternehmen verlagert. Die Banken entledigen sich
also ihres Status des notorischen Schuldners, indem sie die
Einlösung ihrer Schulden auf die Kreditnehmer abwälzen.
Für die, und das sind im Zweifel wir alle, werden die Frei-
heitsgewinne des Kredits zum freiheitsberaubenden Zwang.
Wir finden uns in der freiwillig unfreiwilligen Rolle wieder,
ökonomisch wachsen zu müssen, weil wir mehr zurückzahlen
müssen, als wir ursprünglich bekommen haben. Wir haben
nicht nur die eigenen Schulden zu begleichen, sondern stehen
über den Zins auch noch für das latente Deckungsproblem
der "Geldschöpfungsmaschine" Bank gerade.
Betrachtet man diese im Grunde reichlich banalen Bezie-
hungen im Zusammenhang, dann ist klar, dass sich die kate-
gorische Behauptung der herrschenden ökonomischen Theo-
rie, Güter- und Finanzmärkte würden prinzipiell getrennt
voneinander existieren, keinesfalls aufrecht erhalten läßt.
Das genaue Gegenteil ist der Fall. Zweitausend Jahre lang,
in der patriarchalischen Gesellschaft der Antike wie auch
im Mittelalter, stand der einzelne Mensch, "in bindender
Zugehörigkeit zu einer Gemeinde oder zu einem Landbesitz,
zum Feudalverband oder zur Korporation", wie Simmel die
nicht vom Geld bestimmte Lebenssituation der Menschen
bis ins 19. Jahrhundert hinein kennzeichnet . Heute dagegen
gleichen die Beziehungen der modernen Gesellschaft einer
abstrakten Matrix, in der nicht weniger, wohl aber ein an-
derer Zwang herrscht und das ist der Zwang des Geldes zum
Wachstum. Diese Matrix wird dabei nur vordergründig von
einzelnen Personen oder Personengruppen geknüpft. Den
eigentlichen Webstock führt der geldschöpfende Zinsmecha-
nismus, woraus ein System von vielfältig verflochtenenen
Verschuldungsverhältnissen entsteht. Die Menschen und die
Sphären von Geld- und Realkapital sind in diesem abstrak-
ten Geflecht aufs engste miteinander verbunden und zwar in
der Weise, wie Simmel betont, dass "dem Menschen ein
fortwährender Stachel zur Tätigkeit gegeben" ist: Das weit
gespannte Netz an Kreditfreiheit und Zinsverpflichtung - ge-
knüpft durch die Notenbanken und die Geschäftsbanken, die
qua Mindestreservesatz, Offenmarktpolitik und Diskontsatz
aufeinander bezogen sind, bedeutet für die kreditnehmenden
Akteure - gleich ob Unternehmer oder abhängig Beschäftigte
- einen ständigen Befehl zum Schaffen. Anders gesagt: Die
Bank schickt jeden, der einen Kredit aufnimmt, hinaus in die
Welt, um im Kampf aller gegen alle nicht nur für sich einen
möglichst großen Kuchen zu ergattern, sondern diesen Ku-
chen möglichst auch und zwar ohne Unterlaß zu vergrößern.
Hier liegt die innerste Logik des Kapitalismus und die
(latent ungedeckte) Geldschöpfung (über Verschuldung und
Zins) ist dabei die (abstrakte) Steuerungszentrale, von der
aus die Marktwirtschaft immer wieder aufs neue auf Wachs-
tum programmiert wird.
Zentral ist dabei die Umkehrung der Logik einer Tausch-
wirtschaft in die Logik einer Geldwirtschaft. In der Tausch-
wirtschaft stehen die Güter im Vordergrund. Hier geht es
darum, das, was jemand zuviel hat, zum Beispiel Schweine,
die ein Bauer züchtet, gegen das auszutauschen, was dieser
jemand zu wenig hat, zum Beispiel Werkzeuge, die ein Hand-
werker fertigt. Darin steckt, wie anhand der mittelalterlichen
Ökonomie zu sehen war, per se ein statisches Moment. Es
fehlt der entscheidende Antrieb, mehr zu tauschen und also
auch mehr herzustellen, als dem unmittelbaren Bedürfnissen
entspricht. Zugleich aber werden die Grenzen akzeptiert, die
eine endliche Natur dem menschlichen Gestaltungswillen auf-
erlegt. Die Physik hat dafür den ersten Hauptsatz der Thermo-
dynamik formuliert, wonach der Mensch nur das Vorhandene
umformen, nicht aber mehr schaffen kann, als die Natur zur
Verfügung stellt. Deshalb entspricht die Tauschwirtschaft, in
der Geld tatsächlich in der Rolle als Wertaufbewahrungs-
und Tauscherleichterungsmittel verbleibt und sich nicht selbst
vermehren kann, dem von Aristoteles formulierten Ideal der
oikonomiké, der guten (Haus-)Wirtschaft. Karl Marx hat da-
rauf Bezug genommen und den Unterschied zur Logik der
Geldwirtschaft in zwei prägnante Formeln gegossen. Für die
Tauschwirtschaft gilt dabei die Formel
Ware - Geld - Ware
W - G - W
In einer Geldwirtschaft wird das Verhältnis umgedreht. Hier
stehen nicht die Güter im Vordergrund. Hier geht es vor allem
anderen darum, aus einer bestimmten Menge Geld eine größe-
re Menge Geld zu machen. Die einfache und stimmige Formel
dazu lautet:
Geld - Ware - mehr Geld
G - W - G?
Marx selbst hat darauf hingewiesen, dass die einfache Um-
kehrung der Formel
Ware - Geld - Ware in Geld - Ware - Geld
zunächst überhaupt keinen Sinn macht. Während es für die
Tauschwirtschaft vollkommen rational ist, eine bestimmte
Ware gegen eine andere Ware mit Hilfe des Geldes auszu-
tauschen, weil die eine Ware sich qualitativ von der ande-
ren Ware unterscheidet, gibt es diesen Unterschied in der
neuen Geld-Ware-Geld-Logik nicht. Am Anfang wie am
Ende steht hier etwas qualitativ Gleiches, nämlich das
Geld, das mit sich selbst identisch bleibt - es sei denn, es
kommt zu einem quantitativen Unterschied zwischen dem
am Anfang (investiv) eingesetzten Geld und dem am Ende
(eines Geschäftsvorganges) erzielten Geld. Damit ist die
Logik der Geldwirtschaft klar: Die eingesetzten Geldmittel,
gleich ob in Form von Bankkrediten oder in Form von
Aktien als privat zur Verfügung gestelltes Kapital, sind in
Wahrheit umlauffähig gemachte Schulden. Der Markt ist
nur vordergründig der Ort, an dem Güter ausgetauscht
werden. Er ist vor allem der Ort, an dem die verschiedenen
Akteure gezwungen werden, die Mittel für ihre jeweiligen
Schulden, ihre Zinsverpflichtungen gegenüber den Banken
beziehungsweise Kurserwartungen gegenüber den Aktionä-
ren aufzutreiben. Das oberste Gesetz ist dabei immer, Ge-
winne zu erzielen. Wie das im Einzelnen geschieht, mit wel-
chen Mitteln, mit welcher Art von Gütern oder Dienstleis-
tungen ist prinzipiell völlig gleichgültig. Daher haben wir
es mit einer systematischen Unterordnung der gehandelten
Güter zu tun, das heißt der natürlichen Ressourcen und der
menschlichen Arbeit unter den "höheren" Zweck der geld-
lichen Gewinnerzielung. Besser gesagt: Es ist eine immer
stärkere Vereinnahmung dessen, was selbst Qualtität ist
und Substanz hat, in den Verwertungsprozeß des Geldes not-
wendig, um den ständigen Zuwachs dessen zu rechtfertigen,
was selbst nur Quantität hat und heute, mehr denn je, als
abstrakt-körperlose Größe in Erscheinung tritt."